Geschichte(n) zwischen Gestern und Heute – eine bewegende Reise durch Osteuropa

Wie „erliest“ man sich Europa? Und was zeichnet die einzelnen europäischen Regionen aus? In unserem Blogartikel „Lesereise durch Europa“ haben wir Dir für alle 28 Mitgliedsstaaten der Europäischen Union ein Buch vorgestellt. Heute geht es darum, einen genaueren Blick auf Osteuropa zu werfen, von der Schwarzmeerküste in Rumänien und Bulgarien über die Mittelmeerriviera Kroatiens bis in unser Nachbarland Polen.

Was weiß ich eigentlich über…?

Wir bei Skoobe arbeiten in einem internationalen Team und sind ein bunter Haufen aus Menschen, die täglich ihre Passion für Bücher leben. Ich genieße es sehr in einem internationalen Umfeld zu arbeiten, bei der Recherche zum Thema Osteuropa fiel mir allerdings auf, wie wenig ich über einige der hier erwähnten Länder weiß. Vielleicht sind wir hin und wieder ein wenig zu sehr auf die eigene Geschichte und das eigene Land fixiert und verlieren dabei die Fähigkeit, ab und zu mal über den Tellerrand zu blicken?

Was ich damit konkret meine? Nun, als kompletter Outsider habe ich mich geoutet, als ich meine Kollegin aus Bulgarien auf ihre Heimat ansprach und direkt ihre Quizzfrage, was denn die Hauptstadt Bulgariens sei, mit „Bukarest“ beantwortet habe. Tja, knapp daneben … Dem weltläufigen Leser fällt jetzt mit Sicherheit direkt auf, dass das natürlich nicht korrekt ist, die bulgarische Hauptstadt ist nämlich Sofia. Bukarest ist zwar eine Hauptstadt, allerdings die von Rumänien. Das lies mich kurz an der nötigen Kompetenz zweifeln, diesen Artikel zu verfassen und zeigte mir, dass ich mich dringend auch mal mit der Literatur dieser Länder auseinandersetzen sollte. Schließlich kann man sich so auf einfache und unterhaltsame Weise weiterbilden. Glücklicherweise haben mich meine Kollegin aus Bulgarien und mein Kollege aus Rumänien großzügig bei der Recherche über Ihre jeweiligen Länder unterstützt.

Bulgarien blickt auf eine lange und ereignisreiche Geschichte zurück, wurde es doch schon im Jahre 681 gegründet. Im 12. Jahrhundert war es ein Großreich, welches sich über den gesamten Balkan erstreckte und danach für fast 500 Jahre unter osmanischer Herrschaft stand. In jüngster Vergangenheit gab es, auch und gerade nach dem Fall des Eisernen Vorhangs, immer wieder politische Umstürze und so suchten und suchen viele Bulgaren ihr Glück im Ausland. Gerade die Jungen zieht es in andere westliche Staaten, in denen sie sich eine bessere Zukunft erhoffen als in ihrer Heimat. Um den Traum von einem besseren Leben und überraschende Einsichten, wie so ein Leben dann aussehen kann, geht es auch im Buch „Die Hunde fliegen tief“ des Bulgaren Alek Popov. Vom Hundeausführer zum Millionär, vom Millionär zum Aussteiger: Zwei Brüder aus Bulgarien suchen ihr Glück in Amerika und finden immerhin die Asche ihres Vaters. Alek Popov räumt mit alten Märchen auf: Sein Roman, in Bulgarien wochenlang an der Spitze der Bestseller-Listen, ist eine Satire auf die Goldgräber im Westen wie im Osten, auf die Glückssehnsucht der Erfolgreichen wie der Underdogs und auf die falschen Bilder, die wir voneinander haben, sobald uns eine Welt trennt.

Auch im Nachbarland Rumänien lässt sich noch viel entdecken, wie etwa der lustige Friedhof ganz im Norden des Landes. Die in bunten Farben bemalten Grabsteine und Grabkreuze zeigen Szenen aus dem Leben der Verstorbenen, Zeichnungen und sogar Gedichte. In der lokalen Kultur herrscht der Glaube vor, dass der Tod stellt nur der Beginn eines besseren Lebens ist. Mein Kollege Andrei aus Rumänien machte mich auch darauf aufmerksam, dass es in seinem Land die größte in den Fels gehauene Skulptur in Europa gibt. Im Südwesten des Landes, wo die Donau auf die Ausläufer der Karpaten trifft, erhebt sich über dem Fluss in einer natürlichen Felswand das Gesicht des letzten dakischen Königs Decebalus. Auf dem Land, welches wir heute als Rumänien kennen, lebte nämlich zu Zeiten der Römer das dakische Volk. Um diese historischen Wurzeln zu ehren, wurde die Felsskulptur geplant und die Arbeiten an dem Projekt schließlich 1994 begonnen - finanziert von einem rumänischen Geschäftsmann und Geschichtsliebhaber. Dabei sind die Ausmaße der Skulptur beeindruckend, allein die Nase des Königs ist ganze sieben Meter groß. Mittlerweile zieht die Skulptur wie auch die bezaubernd schöne Naturlandschaft an den Ufern der Donau jedes Jahr zahlreiche Touristen aus aller Welt an.

Weiter geht unsere Reise nach Kroatien, von Rumänien und Bulgarien, die am Schwarzen Meer liegen, haben wir uns also ans Mittelmeer begeben. Das ist wohl der spezielle Zauber der Literatur, dass man nicht mal vom Sofa aufstehen muss, um in andere Länder oder sogar in eine andere Zeit zu reisen. Während für viele Länder der Fall des Eisernen Vorhangs zwar mit wirtschaftlichem Chaos einherging, dabei jedoch weitgehend friedlich verlief, gilt dies nicht für das kleine Land auf dem Balkan. Im Zuge der Balkan-Kriege Anfang der Neunziger Jahre litt nicht nur Kroatien: der gesamte Balkan verwandelte sich in ein Pulverfass und erlebte die blutigste Auseinandersetzung nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs. Um diese dunkle Epoche, die in vielen Ländern der Region bis heute noch nicht aufgearbeitet und überwunden ist, geht es auch im Roman „Als gäbe es mich nicht“ der kroatischen Autorin Slavenka Drakulic. In ihrem Buch schildert sie eindrücklich das Leben einer jungen Lehrerin aus Bosnien, die in einem serbischen Frauenkonzentrationslager eingesperrt war und dort ein schreckliches Martyrium durchlebte.

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Vom Krieg und dem Wert der Freiheit

Schauen wir schließlich in unser Nachbarland Polen und andere Länder im Osten Europas, wird klar, dass auch diese von Kriegserfahrungen bis heute geprägt sind. In der Vergangenheit war das uns heute so friedlich erscheinende Europa ein Kontinent der Kriege und Eroberungen, der Schlachten und des Hasses. Kurz, eine Vergangenheit, die den Kontinent und insbesondere Osteuropa stark in Mitleidenschaft gezogen hat. Viele der nach dem ersten Weltkrieg endlich unabhängig gewordenen Staaten, konnten ihre Freiheit nur kurz genießen, bevor die deutsche Besatzung und der Zweite Weltkrieg alle Träume von Freiheit und Eigenstaatlichkeit zunichte machten.

So zeugt auch der polnische Roman „Die vielen Tode unseres Opas Jurek“ von der bewegten Vergangenheit des Landes. Matthias Nawrats herzzerreißend traurige, schaurig-komische Familiengeschichte verbindet Alltag und Politik, Straßenwitz und Kriegserfahrung, Autobiographisches und Fiktion zu etwas, das stärker nachwirkt als jede romanhafte Biographie: dem Schelmenroman eines polnischen Großvaters, der – die Gräuel des Krieges und des Totalitarismus herabmildernd und die eigene Heldenrolle auffrisierend – Geschichten erzählt, die gerade im Begriff sind, Geschichte zu werden. Ein lebendiger, an Zwischentönen reicher, aber auch abgründiger Roman über eine Familie vor dem Hintergrund der Geschichte Polens und Europas im 20. Jahrhundert.

Auch die tschechische Geschichte ist voll von bewegenden Ereignissen, die unsere Sicht auf das Land bis heute prägen. Nach dem Scheitern des Prager Frühlings 1968, in dem Hunderttausende für einen „Sozialismus mit menschlichem Antlitz“ auf die Straße gegangen waren, sollte es bis zur Samtenen Revolution von 1989 dauern, bis die Tschechen endlich ihre Freiheit erlangten. Mit den Folgen der Geschichte setzt sich auch der Roman „Vom Ende des Punks in Helsinki“ auseinander. Darin geht es um den früheren Punk Ole, der mittlerweile eine Bar in einer ostdeutschen Kleinstadt betreibt. Außer der Bar, ein paar Freunden und seinen Erinnerungen ist ihm wenig geblieben. Als seine Bar geschlossen wird, bricht Ole zu einer Reise nach Tschechien auf. Es wird eine Zeitreise an den dunkelsten Punkt seiner Vergangenheit: 1987 versuchte er als 17-Jähriger mit seiner Freundin Nancy über die grüne Grenze in den Westen zu fliehen. Nancy kam dabei ums Leben …

Nach dem Ende des kalten Krieges erlebten die Länder im Osten Europas dann eine einzigartige Transformation, die den Menschen viele neue Möglichkeiten bot, sie aber auch vor nie gekannte Herausforderungen stellte. Von einem Tag auf den anderen gab es ganz neue Regeln und altbekannte Sicherheiten und Systeme waren unwiederbringlich verloren. Um die Zeitenwende und wie sie manchen überfordert geht es auch im slowakischen Roman „Samy”. Der gleichnamige Protagonist, Sohn eines indischen Psychiaters aus Wien, wächst bei seiner slowakischen Mutter in der Nähe von Bratislava auf. Weil er dunkelhäutig ist, wird er von frühester Kindheit an mit Ablehnung und Anfeindungen konfrontiert. Vor allem Harry, sein Freund aus Kindertagen, macht ihm das Leben schwer. Als Harry im Erwachsenenalter Leader einer Skinhead-Gruppe wird, spitzt sich die Situation für Samy dramatisch zu …

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Lebendige Geschichte und Lektionen für die Zukunft

Gerade die oft von Gewalt, Eroberungen und Umbrüchen gekennzeichnete Vergangenheit der Länder im Osten Europas verdeutlicht, wie wichtig die europäische Idee von Völkerverständigung, Austausch und Aussöhnung ist. Das Projekt der Friedenssicherung und des ökonomischen Wohlstands ist seit jeher eines der Kernanliegen der Europäischen Union, manchmal jedoch ein aufwendiger Prozess. Dieser setzt voraus, dass man sich füreinander interessiert und dem Gegenüber zuhört. Dabei muss es sich nicht unbedingt um ein menschliches Gegenüber handeln. Um den Wissensdurst zu stillen und mehr zu erfahren über andere Länder, Menschen und deren Geschichte(n), ist ein Buch der perfekte Begleiter. Also auf geht's, Europa wartet nur darauf entdeckt zu werden!