Eine tragische Liebesgeschichte – Interview mit Ruth Saberton über „Der Liebesbrief“

Ab dieser Woche ist endlich Ruth Sabertons erfolgreicher Roman „Der Liebesbrief“ in Deutscher Übersetzung erhältlich. Wir haben die Autorin über ihr neues Buch ausgefragt und dabei wunderbare Einblicke über das Setting und in eine traurige Facette ihrer Familiengeschichte erhalten.

Ein alter Liebesbrief verändert das Leben einer einsamen Frau

Kannst Du Dich noch an Deinen ersten Liebesbrief erinnern? Daran, wie Dein Herz geschlagen hat, als Du ihn geöffnet hast? Und an den Moment als Du dem/der Absender:in wieder gegenüberstandest und wusstest, wie sehr Dich diese Person mag? In „Der Liebesbrief“ der britischen Autorin Ruth Saberton geht es auch um einen solchen Brief, doch die Geschichte dahinter offenbart kein Happy End. Zumindest nicht im eigentlichen Sinn:

Um den schrecklichen Verlust ihres Mannes zu verarbeiten, verlässt die Künstlerin Chloe das turbulente London. Ein altes Pfarrhaus an der rauen und geheimnisvollen Küste Cornwalls wird von nun an ihr neues Zuhause sein, in dem sie hoffentlich wieder Inspiration zum Malen findet. Doch schon kurz nach ihrer Ankunft entdeckt sie ein bittersüßes Geheimnis, dessen Aufdeckung ihr Leben verändern wird. Im Buntglasfenster der benachbarten Kirche entdeckt ihr gut geschultes Auge ein Gänseblümchen, das nicht so recht zum Rest des Fensters passen will, und auch in der Kirchenbank ist eine solche Blüte eingeritzt. Sie erkennt bald, dass hinter dieser Schnitzeljagd eine Liebesgeschichte versteckt sein muss, die etwas mit dem im Ersten Weltkrieg verschollenen Dichter Kit Rivers zu tun hat. Zusammen mit ihren neuen Bekanntschaften in dem kleinen Küstenort lüftet sie vor der malerischen Kulisse Cornwalls die Geschichte einer tragischen Liebe. Eine Liebe, die typisch für die Schrecken und Leiden dieser Zeit war, und ein Leben lang unerfüllt blieb.

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Einige Fragen an Ruth Saberton, Autorin von „Der Liebesbrief“

Liebe Frau Saberton, vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen nehmen. Dieses Frühjahr erscheint Ihr Buch „Der Liebesbrief“ auf dem Deutschen Buchmarkt. Wie fühlt es sich an, Ihr Buch in einer Übersetzung vorliegen zu sehen?

Es ist absolut wunderbar, mein Buch in Übersetzung zu sehen, und es war ein Privileg und eine Freude, die Gelegenheit zu haben, mit Menschen zusammenzuarbeiten, die über die Fähigkeiten und die Vision verfügen, um dies zu erreichen. Zu wissen, dass meine Geschichte bald ein völlig neues Publikum von Leser:innen in einem anderen Land erreichen wird, um sie auf eine Reise nach Cornwall zu entführen, ist etwas, von dem ich nur träumen konnte, als ich anfing, das Buch zu schreiben. Ich habe auch das Gefühl, einer neuen literarischen Familie beigetreten zu sein! Als ich mein Exemplar der deutschen Ausgabe von „Der Liebesbrief“ erhielt, war ich überwältigt; Es fühlte sich an, als würde man sich mit einem lieben alten Freund nur an einem völlig neuen Ort treffen und nachdem er ein Make-over durchlaufen hat. Mein Vater hat in Oxford Deutsche Sprache und Literatur studiert und ich weiß, dass er begeistert gewesen wäre, mein Buch in Übersetzung zu lesen. Dies im Hinterkopf zu haben, macht die Veröffentlichung von „Der Liebesbrief“ für mich noch bedeutungsvoller. Mein Buch in deutscher Übersetzung zu sehen, ist auch eine ergreifende Erinnerung daran, dass wir alle, egal woher wir kommen, verbunden sind durch unsere Liebe zum Lesen und die gemeinsame Freude daran, in Geschichten einzutauchen.

Wenn Sie Ihr neuestes Buch in nur drei Wörtern beschreiben dürften, welche wären das?

„Haunting, heart-wrenching and hopeful“ – Ergreifend, herzzerreißend und hoffnungsvoll.

*„Der Liebesbrief“ spielt in Cornwall. Diese Landschaft ist ein sehr beliebter Schauplatz in der Literatur – von märchenhaft schön bis schaurig. Was zieht Sie an diesem Ort in den Bann? *

Die wild schöne und rätselhafte Landschaft von Cornwall hat Generationen von Schriftsteller:innen inspiriert. Die Grafschaft befindet sich dort, wo buchstäblich das Land endet. Es ist von Wasser umgeben, was das Gefühl verstärkt, ein komplett anderes Land zu betreten, wenn man den Fluss Tamar überquert. Cornwall ist ein Land, in dem sich die Legenden von König Arthur und Merlin oder von Laternen schwingenden Strandräubern und gruseligen Geistererscheinungen mit jeder Meile, die man sich weiter nach Westen und weiter weg von zu Hause bewegt, glaubwürdiger anfühlen. Nachts, wenn sich Schatten über das Kopfsteinpflaster der engen Dorfstraßen erstrecken, erinnert die stille Dunkelheit an Schmugglergeschichten, und um die seit langem verlassenen Minen ranken sich immer noch Legenden von unterirdischen Geisterheimsuchungen. Es ist schwer, sich davon nicht fesseln zu lassen, und da ich das Glück habe, am Ufer des Flusses Fowey tief im Herzen des Landes du Mauriers (A.d.R.: Daphne du Maurier war eine britische Schriftstellerin und Bühn) zu leben, ist die Inspiration nie weit entfernt. Die Stimme der Vergangenheit wispert mir beständig ins Ohr. Wenn ich gut genug zuhöre, kann ich sie manchmal hören. Die Überreste der jüngeren Vergangenheit gehören ebenso zum Erbe von Cornwall wie zum Beispiel skelettartige Maschinenhäuser, verwitterte Menhire ​​und alte keltische Kreuze. In meinen Büchern liebe ich es, Legende und Fantasie sowohl mit der Vergangenheit als auch mit der Gegenwart zu verbinden. Für mich ist Cornwalls Landschaft eine Flucht, ein Traum und auch ein Geisteszustand. Es ist ein wunderbarer Ort mit wechselnden Gezeiten, versteckten Stränden und längst vergessenen Buchten, in denen Reiher fischen und alte Häuser schlummern. Alles hier fasziniert mich.

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Auch die Protagonistin Ihres Buchs, Chloe, zieht diese Spannung von Romantik und Wildheit in den Bann. Als sie nach einem schweren Schicksalsschlag von London in das alte Pfarrhaus an der Küste Cornwalls zieht, findet sie Ablenkung von ihrem Schmerz, indem sie der Spur von Gänseblümchen folgt. Wohin führt sie diese?

Chloe Pencarrow hat einen qualvollen Verlust erlitten, den sie nur schwer verstehen, geschweige denn bewältigen kann. Aber durch die wilde Landschaft von Cornwall findet sie Trost inmitten verwüstender Trauer. Chloe ist eine talentierte Künstlerin, aber sie kann sich nicht in ihrer Arbeit verlieren oder überhaupt viel Freude daran finden. Zu Beginn des Buches ist sie durch den grauenhaften Todeskampf, den ihr Mann durchlitt, traumatisiert. Genauso traumatisiert wie es viele der Romanfiguren, die in den Jahren 1914-18 gelebt haben, es durch Krieg und Konflikte sind. Die Parallelen zwischen ihrer und der Reise der Vorfahren werden im Verlauf des Romans deutlich und Chloe folgt der Spur der Gänseblümchen, die mit der ersten kleinen Blume beginnt, die in einem Kirchenfenster aus Buntglas entdeckt wird. Dieser Gänseblümchenpfad spiegelt den Heilungsprozess und die Reise wider, die Chloe unternimmt, als sie die Geschichte eines vergessenen Dichters und seiner verlorenen Liebesbeziehung entdeckt. Mit jedem Hinweis, den sie findet, macht Chloe einen weiteren Schritt auf ihrem Weg der Heilung.

Am Ende des Buches findet man ein wunderbares Interview mit Ihnen. Darin werden Sie gefragt, was Sie zu dieser Geschichte inspiriert hat. Möchten Sie vielleicht auch unseren Leser:innen noch einmal ganz kurz schildern, wer Daisy für Sie ist?

„Der Liebesbrief“ hat einen ganz besonderen Platz in meinem Herzen und die Inspiration für das Buch kam fast durch Zauberei. Ich sortierte gerade einige Schränke in meinem Familienhaus, als ich auf ein verblasstes Foto eines jungen Mannes in Militäruniform sowie auf eine alte Dose und eine kleine Bibel stieß. Meine Mutter sagte, dieser junge Mann sei Arthur Sidney und er sei der Verlobte meiner Großtante Ella gewesen. Tragischerweise war Arthur während des Ersten Weltkriegs auf dem Schlachtfeld verschollen und diese Gegenstände waren alles, was Ella übrig hatte, um sich an ihn zu erinnern. Meine Mutter erklärte weiter, wie Ella sich weigerte zu glauben, Arthur sei tot. Sie hoffte immer, er könnte zurückkehren, und hörte ihr ganzes Leben nicht auf, nach ihm zu suchen. Sie hat nie geheiratet, und das Leben und die Familie, nach denen sie sich sehnte, schienen mit ihm auf den Schlachtfeldern Frankreichs gestorben zu sein. Ich hatte meine Großtante bisher nur als eine sehr strenge und ältere Jungfer gekannt, und ich war beeindruckt von der Tragödie ihrer Geschichte, als ich sie zum ersten Mal als Person und nicht als lange verstorbene Verwandte sah.

Es gibt Hunderte und Hunderte ähnlicher Geschichten, kleine Tragödien einer verlorenen Generation, und ich wollte ein Buch schreiben, das diese Menschen für den/die Leser:in wieder real werden lässt. Ich wollte sie wieder lebendig werden lassen und die unnötigen Todesfälle auf den Schlachtfeldern des Ersten Weltkriegs auf eine Weise hervorheben, die Geschichtsunterricht im Klassenzimmer nicht leisten kann. Die tragische Geschichte meiner Großtante ist aus meinem Gedächtnis in die Geschichte gerutscht, aber in „Der Liebesbrief“ werden Vergangenheit und Gegenwart, Fiktion und Wahrheit verknüpft, als eine junge Witwe eine vergessene Liebesgeschichte aufdeckt. So wie diese Romanze im Roman offenbart wird, ist es meine größte Hoffnung, dass Ella und Arthur durch Fiktion wieder vereint werden und die verlorene Geschichte ihrer Generation mit dem Umblättern jeder Seite in Erinnerung bleibt. Daisy ist natürlich eine fiktive Version meiner Großtante Ella und vieler anderer Hunderttausender junger Frauen wie sie, die die Männer verloren haben, die sie liebten, und die Zukunft, die ihnen hätte gehören sollen.

Als ich „Der Liebesbrief“ schrieb, trauerte auch ich. Dabei identifizierte ich mich sehr mit Chloe. Ich glaube, dass das Schreiben dieses Romans für mich ebenso ein Heilungsprozess war, wie es die Ereignisse der Geschichte für Chloe sind. Die pure Emotion, die so viele Leser:innen mit dem Buch verbinden, kommt direkt aus meinem Herzen und dem Ort, an dem ich mich befand, als ich das Buch schrieb. Der Eröffnungsabschnitt mit Chloe ist an manchen Stellen trostlos und fühlt sich zeitweise langsam an – genau das ist die Stimmung und der Ton, die ich erreichen wollte. So fühlt sich Trauer an, und Chloe ist gebrochen. Zu diesem Zeitpunkt hat das Leben für sie keinen Sinn und keine Freude. Sie wacht auf und weint, weil nichts anderes vor ihr liegt als ein weiterer Tag ohne ihren Ehemann und Tausende und Abertausende weitere Tage, die es zu ertragen gilt. Meine Großtante muss sich genau so gefühlt haben, nachdem sie ihren Verlobten verloren hatte, und sie wurde weit über achtzig Jahre alt. Wie hat sie es ertragen? Wie ging sie weiter? Ich kann sie nicht mehr fragen, sondern nur vermuten, dass wie bei Chloe nach und nach Licht durch die dichten Wolken drang und es kleine Lichtpunkte gab, die wieder Freude auslösten.

Im Englischen lautet der Titel des Buchs „The Letter“. Im Deutschen wurde er durch ein wichtiges Attribut ergänzt. Können Sie sich noch an Ihren ersten Liebesbrief und die Geschichte dazu erinnern?

Ich liebe die deutsche Version des Titels und ich wünschte, ich hätte daran gedacht! Der „Brief“ des Originaltitels ist in der Tat ein Liebesbrief, wenn auch ein eher ungewöhnlicher ... Was meine eigenen Liebesbriefe betrifft? Ich fürchte, ich gehöre zu der Generation, in der Liebende Texte und E-Mails abfeuern, anstatt sich hinzusetzen, um einen Brief zu schreiben. Obwohl diese schnell sind, werden sie nicht wie eine schriftliche Mitteilung genossen und können nicht zu einem Bündel zusammengefasst, mit rotem Band zusammengebunden und jahrelang geschätzt werden. Was müssen Schriftsteller in Zukunft für historische Beweise verwenden, wenn sie über diesen Zeitpunkt schreiben? Alte Festplatten? Handys, die wieder zum Leben erweckt werden? Ein wiederhergestelltes Facebook-Konto? Ich warte immer noch auf einen herkömmlichen Liebesbrief, aber von nun an werde ich sicherstellen, dass ich die Textnachrichten speichere, die mein Partner mir sendet. Und wenn ein Bild tausend Worte sagt, dann müssten all die schönen Dinge, die er jeden Tag für mich tut, – vom Ausmisten der Pferdeställe, über das Abwaschen des Schlamms von unseren Hühnern (es regnet viel in Cornwall!) bis zu seiner Geduld mir gegenüber, wenn ich von meinem neuesten Buch besessen bin – unendliche viele Seiten füllen!

Und eine abschließende Frage: Welche Geschichte erzählen Sie Ihren Leser:innen als nächstes?

Ich erhalte viele E-Mails von Leser:innen, die mich um eine Fortsetzung von „Der Liebesbrief“ bitten, aber diese Geschichte ist abgeschlossen und es wäre eine schwierige Aufgabe, sie fortzusetzen, da ich nichts verraten möchte. Ich habe einen Begleitroman namens „The Locket“ geschrieben, der die Geschichte von Emily Pendennys erzählt, sie wurde in „Der Liebesbrief“ kurz als potenzielle Frau für Kit Rivers erwähnt. Dieser Roman ist Emmys Geschichte, aber er erzählt auch Kits Geschichte aus einer anderen Perspektive. Ich habe es geliebt, ihm wieder zu begegnen und seine Freundschaft mit einem anderen Set von Charakteren zu sehen.

Ich arbeite an einem neuen Roman, der wieder einmal im atemberaubenden Cornwall spielt. Er befindet sich derzeit in einem frühen Stadium der Planung und Forschung, aber es besteht eine gute Chance, dass die Geschichte in unbekannte und aufregende Richtungen abtaucht, wenn ich anfange zu tippen. Ich werde in den Ersten Weltkrieg zurückkehren, um ein Geheimnis aufzudecken. Aber welches das ist, weiß ich noch nicht genau. Bleib dran und Du wirst es bald erfahren.

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Wir bedanken uns sehr herzlich bei Ruth Saberton für ihre Zeit, unsere Fragen zu beantworten.

Ruth Sabertons Geschichte bei Skoobe

Das eBook sowie das Hörbuch zu „Der Liebesbrief“ kannst Du ab Donnerstag bei uns in der Bibliothek ausleihen. Auf Instagram kannst Du schon heute Abend einen Blick ins Buch werfen.

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