Tatyana wächst behütet und in einem liebevollen Elternhaus auf. Das kann ich mit bestem Gewissen sagen. Kurz nach ihrem neunten Geburtstag ziehen wir mit ihr nach Südfrankreich, wo sie ein unbeschwert
Tatyana wächst behütet und in einem liebevollen Elternhaus auf. Das kann ich mit bestem Gewissen sagen. Kurz nach ihrem neunten Geburtstag ziehen wir mit ihr nach Südfrankreich, wo sie ein unbeschwertes, fröhliches und spannendes Leben führt. Sie lernt reiten, tritt einem Segelclub bei, probiert sich im Ballett, darf oft Freunde einladen oder wir nehmen ihre Freundinnen mit in den Urlaub auf unsere Segeltörns. Schon mit vier Jahren läuft sie Ski, genießt viele Freiheiten – vielleicht zu viele. Mehrfach segeln wir gemeinsam durch die karibische Inselwelt, reisen in zahlreiche Länder, besuchen in Florida Walt Disney World, Cape Canaveral und vieles mehr. Als Kleinkind ging sie mit uns wandern und war viel auf Reisen. Sie hatte ständig Freunde zum Spielen bei uns. Im Sommer plantschten Nachbarskinder in unserem Pool. Sie hatte meistens Spaß ohne Ende. Selbst den von ihr schon lange ersehnten Scooter, dessen Kauf wir eigentlich nicht für gutheißen wollten, ermöglichen wir ihr schließlich. Wieder einmal lassen wir uns breitquatschen. Das liebe Kind soll glücklich sein. Welch ein Irrtum.Walter und ich stammen beide aus nicht ganz einfachen Verhältnissen, nämlich aus hektischen Geschäftshaushalten. Darum wollten wir unserer einzigen Tochter ein besseres, freieres Leben schenken, als wir es selbst hatten. Wir drei waren, so dachten wir zumindest, immer eine eingeschworene Gemeinschaft. Tatyana zeigte uns oft überschwänglich ihre Zuneigung – oder ließ es uns zumindest glauben.Doch mit dem Eintritt ins Teenageralter verändert sie sich radikal. Nichts mehr mit Freundlichkeiten, Zuneigung, Respekt oder gar Liebenswürdigkeiten. Sie wird zur Superegoistin, nur noch ICH, ICH, ICH. Plötzlich erkennen wir unser Kind kaum wieder. Sie widersetzt sich grundsätzlich allem, ist grundsätzlich konträr, dagegen, egal wogegen, Hauptsache dagegen. Mehr und mehr beginnt sie uns anzulügen, zu hintergehen und uns rücksichtslos auszunutzen. Schließlich erreicht ihr Verhalten einen Punkt, an dem sie beinahe die Karriere unserer Bankdirektorin in Frankreich ruiniert. Spätestens da ist das Maß ihrer Eskapaden und Unverschämtheiten endgültig voll – das Fass zum Überlaufen gebracht.